Wer «Spielstrasse» liest, der denkt natürlich sofort an Kinder. Auf dem Plakat der Stadt Aarau, das seit ein paar Wochen die Spielstrasse Wallerstrasse ankündigt, steht sogar explizit: Die Strasse gehört den Kindern.
Während es vordergründig um die Kinder - oder gar um das Wohl der Kinder - geht, so wird im Hintergrund natürlich eine ganz andere Musik gespielt. Spielstrassen sind nämlich eines der Mosaiksteinchen aus der anti-kapitalistischen Bewegung Reclaim the Streets.
Aber beginnen wir von vorne. Wie sinnvoll ist es überhaupt, kleine Kinder auf einer Strasse spielen
zu lassen? Wäre es nicht gescheiter, wenn die Kinder mit einer gesunden Portion Respekt vor der Strasse
aufwachsen würden? Zu meiner Zeit waren die Regeln noch einfach (aber durchaus sinnvoll), wie beispielsweise:
«Autos fahren auf der Strasse, das Trottoir gehört den Fussgängern, und die Kinder spielen auf dem
Spielplatz (oder im Wald)». Solche einfachen Rezepte sind natürlich heute nicht mehr gefragt;
auf der Strasse wird parkiert, in Begegnungszonen sind alle miteinander (und manchmal auch gegeneinander)
unterwegs, aber die Expertinnen meinen es bestimmt nur gut mit ihren Ratschlägen. Umso gespannter
ist man auf den angekündigten Anlass. Meine Erwartungen sind entsprechend hoch, weil die von
Profis entwickelte Strategie - zusammen mit dem durchdachten Konzept - in der Umsetzung sicher keine Wünsche
offen lassen wird. Nur schon die publizierte Grafik ist allerdings so kompliziert, dass man sie als Normalsterblicher
kaum auf Anhieb verstehen kann: Eindrücklich ist das Geflecht aus Handlungsausrichtungen der Stadt Aarau sowie
den Rechten und Bedürfnissen von Kindern (Alter 0! bis 4) allemal:
(Quelle: https://www.gesellschaft-aarau.ch/kind-familie/projekt-fruehe-kindheit.html/1361
Was ich dann am Mittwoch 30. Mai 2023 gesehen habe, ist relativ rasch zusammengefasst. Viele glückliche Kinder (keine Kunst bei Gratis-Glacé und einer schönen Auswahl an Spielkamerädli und Spielzeugen); und im Schnitt pro Kind ein Elternteil (grob geschätzt 2/3 Mütter und 1/3 Väter). Je nach Zeitpunkt insgesamt ca. 40 bis 80 Personen. Man hat sich angeregt unterhalten, Glacé gegessen, Kaffee oder Mineralwasser getrunken, und dann aber auch den Schatten gesucht, weil die Sonne halt unerbärmlich runterbrannte (ich verzichte aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes auf die Publikation von Bildern).
Man könnte jetzt einen Haken machen und zum Schluss kommen: Kinder zufrieden - Aktion geglückt. Oder man könnte sich ein paar Gedanken machen zum Gesehenen, und vielleicht den «Kinderexpertinnen» auch die eine oder andere Fragen stellen. Letzteres lass ich bleiben, weil ich darauf verzichten kann, als alter weisser Mann beschimpft zu werden. Was ich diesen «Profis» allerdings sehr ans Herz legen möchte, wäre das Konzept «location, location, location», das eben auch für Kinderspielplätze gilt. Aarau ist nicht London, und Aarau ist auch nicht Zürich. Kinder sollen sich dort austoben dürfen, wo es ungefährlich ist. Auf der Strasse hingegen, da ist man kontrolliert und mit der nötigen Vorsicht unterwegs. Die Vorteile einer solchen Erziehung liegen auf der Hand. Spätestens dann, wenn die Kleinen zu Fuss in den Kindergarten gehen. Allerdings vermute ich, dass es bei dieser staatlich (lies: mit Steuergeldern) geförderten Aktion weniger um die Kinder (oder gar um die Erziehung der Kinder) geht als um das Verbreiten von Ideologien. Nur schon der Gedanke an Autos, die auf der Strasse fahren, ist verwerflich. Reclaim the Streets ist definitiv angekommen in Aarau.
PS: Für alle, die nicht vertraut sind mit dem Aarauer Zelgli-Quartier, hier eine kurze Beschreibung der relevanten Örtlichkeiten:
Im Zelgli-Quartier hat jede Liegenschaft einen Garten, und gemäss Google-Maps haben einige sogar einen Swimming-Pool.
Die Distanz zwischen der Spielstrasse Wallerstrasse und diversen
anderen, permanent mit Fahrverboten belegten Strassen beträgt
nur 200m (Kurt Kim-Weg, obere Tannerstrasse, obere Zelglistrasse). Der Waldrand (Pfadiheim Adler) ist ebenfalls nur 250m
entfernt, und in knapp 500m Distanz befindet sich der wunderschöne
Waldspielplatz «Echolinde»,
wo es nicht nur ausreichend Schatten und einen Brunnen mit fliessendem Trinkwasser hat, sondern eben auch eine Gigampfi, Ritiseili
und einen Kletterbaum. Es hat sogar eine tolle Feuerstelle, die einlädt zum Füürle, Brötle und Schlangebrot machen. In
unmittelbarer Nähe beginnt auch der bekannte Aargauer
Planetenweg (von der Echolinde aus ist die Sonne zu sehen).
Kurzum, das in der obigen Luftaufnahme blau markierte Gebiet hat alles zu bieten, was ein Kinderherz begehrt. Und - ich spreche aus Erfahrung - auch Teenager und Erwachsene gehen nicht leer aus. Es muss nichts abgesperrt werden, Paketlieferdienste werden nicht behindert und es müssen auch keine Anwohnerinnen gefährliche Manöver mitten durch die Kinderschar ausführen, um mit dem Auto zu ihrer Liegenschaft zu gelangen, wie es am Mittwochnachmittag zu beobachten war.
Mit etwas Planung, liebe Vernetzerinnen, Expertinnen und Profis für «Frühe Kindheit», wäre es sogar möglich, den Kindern (und den Erwachsenen) die Themen Bienen und Honig näherzubringen. Der Aarauer Imker Markus Fankhauser betreut in der Echolinde seit Jahren mehrere Bienenvölker, und er hätte viel Interessantes zu erzählen...