Anfrage Nr. 1 (08.03.23)
Antwort vom Stadtrat (08.05.23)
Anfrage Nr. 2 (28.06.23)
Mit grossem Trara hat die Stadt Aarau die bewährte Grüngut-Vignette zum Aufkleben abgeschafft und zwingt seit 2023 alle Kunden dazu, dass sie sich für 20 Franken einen «Chip» kaufen, der unter der Oberkante des Grünkübels montiert werden muss. Ein analoges, kostengünstiges und erst noch umweltfreundliches System (1x pro Jahr Vignette bestellen, bezahlen und aufkleben), das sich während Jahrzehnten bewährt hat und im Betrieb absolut keine weiteren Ressourcen verbraucht (auch keinen Strom!), wird also «digitalisiert». Neu ist aber nicht automatisch besser! Das neue System hat nämlich eine deutlich schlechtere Umweltbilanz: Am Ende ihrer Lebensdauer müssen die an den Entsorgungsfahrzeugen montierten Lesegeräte als Elektroschrott entsorgt werden, und die Chips sind mit dem nächsten Systemwechsel ebenfalls Elektroschrott oder einfach Sondermüll. Nicht abschliessend klären konnte ich, ob diese Übung im Zusammenhang mit der «Smart City Aarau Strategie» steht; im Umsetzungsplan war jedenfalls nichts zu finden zum Thema «Verchippung» der Grünkübel.
Als weitere grosse Errungenschaft wird uns Kunden das «Abo» angepriesen, d.h. die automatische Erneuerung ohne jährliche Bestellung. Wer selber denkt (!), dem ist natürlich klar, dass diese Änderung ohne jegliche Zusatzkosten auch mit der bewährten Jahresvignette hätte erfolgen können. Aber eben, «digital ist einfach besser» entspricht dem heutigen Zeitgeist, egal was es kostet. Gerade uns älteren Semestern wird es jeden Tag unter die Nase gerieben: Wer heute nicht digitalisiert, der ist von gestern!
Wer die Propaganda verdaut hat und einen Blick auf die nackten Zahlen wirft, der wird leider ebenfalls enttäuscht. Obwohl jeder Kunde den Systemwechsel ungefragt mit 20 Franken hat alimentieren müssen, was bei 2'900 Kunden immerhin der stolzen Summe von 58'000 Franken entspricht, kann die Stadt Aarau unter dem Strich im Betrieb (also bei den wiederkehrenden Kosten) keinen einzigen Franken einsparen. In seiner Antwort vom 8. Mai 2023 schreibt der Stadtrat lapidar: «Das Grüngut-Abonnement zeigt sich gegenüber der Jahresvignette kostenneutral.»
Ein gänzlich unkritischer Medienbericht druckt mehr oder weniger ab, was der Stadtrat «vorgerechnet» hat. Schön wäre es natürlich gewesen, wenn die Journalistin «nachgerechnet» hätte. Aber eben, selber rechnen ist, wie selber denken, anstrengend. Statt die ungeprüfte Behauptung, dass das Grüngutabo gegenüber der Vignette kostenneutral sei, einfach zu übernehmen, hätte man anhand weniger Überlegungen zeigen können, dass das Prädikat «kostenneutral» reine Augenwischerei ist. Wie sehen denn Umweltbilanz und Finanzierung aus für dieses Projekt? Dazu sind nicht nur die jährlich wiederkehrenden Kosten in Betracht zu ziehen, sondern die einmaligen Umstellungskosten sind über einen vernünftigen Zeithorizont abzuschreiben. Wer Auto fährt, der berücksichtigt für seine Kilometerkosten ja auch nicht nur die Treibstoffkosten (oder modern: Stromkosten).
In stark abgekürztem Verfahren behandelt der Stadtrat die Einmalkosten für den Systemwechsel: Aufrüstung der Entsorgungsfahrzeuge (16'500 Franken) sowie Marketing (ca. 9'800 Franken). Den Betrag von 40'600 Franken für den mit Abstand grössten Posten «Aufwand für die Administration, die Programmierung, die Montage des Datenträgers (bei Bedarf) und die Versandspesen» muss man dann selber berechnen, als Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Chips (6 Franken resp. 20 Franken), multipliziert mit der Anzahl von Grüngutabos (ca. 2'900 Stück); komplett falsch ist die Behauptung, dass diverse ausgeführte Arbeiten das Budget der Stadt «nicht belastet» hätten, da sie von einer «Person der Arbeitsintegration» ausgeführt wurden. Gemäss Beobachtungen von Mitbürgern war mindestens eine städtische Mitarbeiterin zusätzlich während mehrerer Tage mit dem Austausch von Grünkübeln beschäftigt. Es ist auch davon auszugehen, dass etliche Fahrten mit einem Lieferwagen notwendig waren, um die neuen Kübel auszuliefern und die alten Kübel einzusammeln. Die Antwort des Stadtrats vom 8. Mai 2023 ist also nachweislich unwahr und/oder unvollständig.
Anhand der folgenden Aufstellung Sicht Stadt (Angaben des Stadtrats, ergänzt um Korrekturen und geschätzte Kosten für vom Stadtrat ignorierte Positionen) stellt man fest: Drückt man beide Augen zu und ignoriert man die Verschlechterung der Umweltbilanz, das neue System könnte im Betrieb knapp kostenneutral sein. Sollte es aber in zukünftigen Jahren gröbere Überraschungen geben mit Gerätedefekten und anderen unerwarteten Kosten (Software-Upgrades, steigende Kosten (Strom!) für den Betrieb im RZ, Hacker-Angriffe auf das Chip-Verwaltungsssytem oder gar die Entsorgungsfahrzeuge usw.), so wird das neue, digitale System klar schlechter abschneiden als das alte, analoge System. Ganz unschön ist, dass aus der Umstellung - vorsichtig geschätzt - einmalige Nettokosten von mehr als 30'000 Franken stehen bleiben (obwohl die Grüngutkunden mit dem überteuerten Preis von 20 Franken pro Chip netto ca. 40'000 Franken an den System-Wechsel beigesteuert haben). Entweder werden Steuerzahlerinnen und -zahler zur Kasse gebeten, oder es gibt in Zukunft höhere Gebühren für uns Grüngutkunden (im aktuellen Umfeld mit spürbarer Inflation und Preiserhöhungen an jeder Front darf man davon ausgehen, dass auch der Staat gute Gründe für das Drehen an der Gebührenschraube finden wird):
Wer selber nachrechnet, für den ist sofort klar: Es handelt sich um ein Projekt mit negativem Nettobarwert (net present value). Die Grüngutkunden haben für den Systemwechsel einmalig 58'000 Franken aufgeworfen, aus der Steuerschatulle hat die Stadt Aarau zusätzlich gut 30'000 Franken entnommen. Wie allzu oft bei staatlichen Projekten, die am Schreibtisch ausgeheckt werden, lautet das Fazit: Ausser Spesen nichts gewesen.