«Kostenneutrale» Digitalisierung - wirklich? (15.06.2023)
Anfrage Nr. 1 (08.03.23)
Antwort vom Stadtrat (08.05.23)
Anfrage Nr. 2 (28.06.23)
Antwort vom Stadtrat (17.06.24)
Das für staatliche Projekte gerne vergebene Label «kostenneutral» ist genauso ein Euphemismus für Geldverschwendung, wie das unnütze Label «CO2-neutral» oder andere «Neutralismen». Kostenneutralität erreicht der Staat bei Projekten nämlich vornehmlich dadurch, dass einerseits a) die Kosten nicht sauber berechnet werden und b) die Vorteile, falls überhaupt welche anfallen, ins Unermessliche aufgeblasen werden. Allzu oft sind die Vorteile sogar rein hypothetisch, während die Kosten ausnahmslos immer real sind: Löhne und Rechnungen werden ja offensichtlich nicht mit Monopoly-Geld bezahlt.
Ein schönes Beispiel dafür, wie der Aarauer Stadtrat uns alle mit dem Label «kostenneutral» an der Nase herumführt, ist die Umstellung von der bewährten Grüngut-Vignette auf ein chip-basiertes Grüngut-Abo. Während ein Fünft- oder Sechstklässler einfach nachrechnen konnte, dass dieses Projekt mit deutlich mehr als 100'000 Franken zu Buche schlug, und sich die Einsparungen auf wenige Tausender beschränkten, so schrieb der Stadtrat in seiner Antwort vom 8. Mai 2023 lapidar: «Das Grüngut-Abonnement zeigt sich gegenüber der Jahresvignette kostenneutral.» Das irreführende Label «kostenneutral» hat der Stadtrat vergeben können, weil er «interne Kosten» komplett ignorierte (die städtischen Angestellten erhalten den Lohn ja sowieso, d.h. ein paar Stunden hier und dort für ein Projekt, das verursacht keine zusätzlichen Kosten, die man berücksichtigen müsste...) und obendrein Unwahrheiten in Bezug auf die ins Projekt involvierten Mitarbeiter verbreitete; über die Vorteile für Grüngutkunden kann man sich streiten - ich persönlich sehe weiterhin keine.
Ich habe mich im Juni 2023 im Einwohnerrat beschwert über die ungenügende erste Antwort des Stadtrats, kurz darauf nachgehakt und die exakt gleichen Fragen noch einmal gestellt. Der Stadtrat hat sich mehr als ein Jahr Zeit gelassen für seine zweite Antwort, in der er im Wesentlichen alle meine Berechnungen bestätigt hat: Die Kosten für die Umstellung betragen gemäss Stadtrat CHF 116'000. Es wird aber weiterhin das euphemistische Label «kostenneutral» vergeben, wobei man sich jetzt auf die «mittelfristigen Betriebskosten» bezieht. Offenbar ist man kurzfristig im roten Bereich und ich bin überzeugt davon, dass man unter dem Strich gar nie in den grünen Bereich kommen wird. Die «mittelfristige Beriebskostenneutralität» ist einfach ein weiterer «X-neutral»-Euphemismus, mit dem man die vielen Jöbli beim Staat rechtfertigen will. Wer sauber rechnet, der weiss: Ausser Spesen nichts gewesen, obwohl der neu Stadtrat behauptet:
«Bei der Einführung des Grüngutabos standen nicht primär die finanziellen Einsparungen im Fokus, sondern die Kunden- resp. Serviceorientierung sowie die Vereinfachung und Digitalisierung des Prozesses. Gemäss aktueller Einschätzung dürften die laufenden Betriebskosten mittelfristig kostenneutral sein ...».
Wers glaubt, wird selig! Mein Ratschlag: Wie wäre es mit «Kosteneffizienz statt Kostenneutralität»?
PS: Die AZ schreibt, der Stadtrat gebe Müller «teilweise recht». Es scheint, dass die AZ als Sprachrohr des Stadtrats einmal mehr die schützende Hand über dieses Gremium legt, obwohl die Fakten glasklar sind. Die vom Stadtrat nun zugegeben Kosten von 116'000 Franken sind nicht nur deutlich grösser als die ursprünglich behaupteten 44'000 Franken, sondern meine Behauptung, dass die Kosten «mindestens 112'000 Franken betragen müssen» hat sich nachweislich bestätigt.