Der «X-neutral»-Euphemismus

10.07.2024@16:15
Grüngut-Vignette/-Chip
Hintergrundinformation:
«Kostenneutrale» Digitalisierung - wirklich? (15.06.2023)
Anfrage Nr. 1 (08.03.23)
Antwort vom Stadtrat (08.05.23)
Anfrage Nr. 2 (28.06.23)
Antwort vom Stadtrat (17.06.24)

Das für staat­liche Pro­jekte gerne ver­ge­bene Label «kosten­neutral» ist genauso ein Euphe­mismus für Geld­ver­schwendung, wie das un­nütze Label «CO2-neutral» oder andere «Neutra­lis­men». Kosten­neutra­lität erreicht der Staat bei Pro­jekten näm­lich vor­nehm­lich dadurch, dass einer­seits a) die Kosten nicht sauber berechnet werden und b) die Vor­teile, falls über­haupt welche an­fallen, ins Uner­mess­liche auf­ge­blasen werden. Allzu oft sind die Vor­teile sogar rein hypo­thetisch, während die Kosten aus­nahms­los immer real sind: Löhne und Rech­nungen werden ja offen­sichtlich nicht mit Monopoly-Geld bezahlt.

Ein schönes Beispiel dafür, wie der Aarauer Stadt­rat uns alle mit dem Label «kosten­neutral» an der Nase herum­führt, ist die Um­stel­lung von der bewährten Grün­gut-Vignette auf ein chip-basiertes Grün­gut-Abo. Während ein Fünft- oder Sechst­klässler ein­fach nach­rechnen konnte, dass dieses Pro­jekt mit deutlich mehr als 100'000 Franken zu Buche schlug, und sich die Ein­spa­rungen auf wenige Tausender be­schränkten, so schrieb der Stadt­rat in seiner Ant­wort vom 8. Mai 2023 lapidar: «Das Grün­­gut-Abonne­­ment zeigt sich gegen­­über der Jahres­­vignette kosten­­neutral.» Das irre­führende Label «kosten­neutral» hat der Stadt­rat ver­geben können, weil er «interne Kosten» komplett ignorierte (die städ­tischen Ange­stellten erhalten den Lohn ja sowieso, d.h. ein paar Stunden hier und dort für ein Pro­jekt, das ver­ursacht keine zusätz­lichen Kosten, die man be­rück­sichtigen müsste...) und oben­drein Un­wahr­heiten in Bezug auf die ins Projekt invol­vierten Mit­arbeiter ver­breitete; über die Vor­teile für Grün­gut­kunden kann man sich streiten - ich persönlich sehe weiter­hin keine.

Ich habe mich im Juni 2023 im Ein­wohner­rat beschwert über die unge­nügende erste Ant­wort des Stadt­rats, kurz darauf nach­gehakt und die exakt gleichen Fragen noch ein­mal gestellt. Der Stadt­rat hat sich mehr als ein Jahr Zeit gelassen für seine zweite Antwort, in der er im Wesent­lichen alle meine Berech­nungen bestätigt hat: Die Kosten für die Um­stel­lung betragen gemäss Stadt­rat CHF 116'000. Es wird aber weiter­hin das euphe­mistische Label «kosten­neutral» vergeben, wobei man sich jetzt auf die «mittel­fristigen Betriebs­kosten» bezieht. Offen­bar ist man kurz­fristig im roten Bereich und ich bin überzeugt davon, dass man unter dem Strich gar nie in den grünen Bereich kommen wird. Die «mittel­fristige Beriebs­kosten­neutra­lität» ist einfach ein weiterer «X-neutral»-Euphemismus, mit dem man die vielen Jöbli beim Staat rechtfertigen will. Wer sauber rechnet, der weiss: Ausser Spesen nichts gewesen, obwohl der neu Stadt­rat behauptet:

«Bei der Ein­führung des Grün­gut­abos standen nicht primär die finan­ziellen Ein­spa­rungen im Fokus, sondern die Kunden- resp. Service­orien­tierung sowie die Ver­ein­fachung und Digi­tali­sierung des Prozesses. Gemäss aktueller Ein­schät­zung dürften die laufenden Betriebs­kosten mittel­fristig kosten­neutral sein ...».

Wers glaubt, wird selig! Mein Rat­schlag: Wie wäre es mit «Kosten­effizienz statt Kosten­neutra­lität»?



PS: Die AZ schreibt, der Stadt­rat gebe Müller «teil­weise recht». Es scheint, dass die AZ als Sprach­rohr des Stadt­rats ein­mal mehr die schützende Hand über dieses Gremium legt, obwohl die Fakten glas­klar sind. Die vom Stadt­rat nun zugegeben Kosten von 116'000 Franken sind nicht nur deut­lich grösser als die ur­sprüng­lich be­haupteten 44'000 Franken, sondern meine Behauptung, dass die Kosten «mindestens 112'000 Franken betragen müssen» hat sich nach­weis­lich bestätigt.