«Landabtausch» — nachgerechnet

26.10.2023@09:00
Testlauf Bahnhofstrasse

Mittlerweile wird intensiv über die in der Telli geplante Mammut-Schule diskutiert. Das ist auch gut so. Die Leute sind auf­gewacht und haben realisiert, was die Vor­denker der Kreis­schule Aarau-Buchs uns auf­zwingen wollen. Kreisschulrätin Nicole Burger hat es treffend formuliert: «Wenige befehlen, alle zahlen.»

Deutlich weniger auf­geregt ist die Dis­kus­sion über den soge­nannten «Land­abtausch», eine komplexe Trans­aktion zwischen der Orts­bürger­gemeinde Aarau (OBG), der Ein­wohner­gemeinde (EWG) und dem Kanton Aargau. Das Wort «Tausch» sugge­riert, dass man frei­willig etwas gibt und dann im Gegen­zug etwas bekommt, das (mindestens subjektiv) gleich viel oder mehr wert ist als das, was man gegeben hat. Aus Sicht der Orts­bürge­rinnen und Orts­bürger ist davon aber rein gar nichts zu sehen, im Gegen­teil: Die OBG soll über den Tisch gezogen werden, und zwar nach Strich und Faden. Der Gesamtschaden dürfte sich für die OBG auf bis zu 30 Millionen Franken belaufen!

Sportplatz Telli Am besten ana­lysiert man eine solche Trans­aktion, indem man sie in über­schau­bare Einzel­kompe­nenten zerlegt. Ich mache das hier am Beispiel der Par­zellen 849, 850 und 851 in der Telli. Aktuell gehören die Par­zellen 850 und 851 sowie das Hallen­bad und die Turn­hallen, die auf diesen Par­zellen stehen, dem Kanton Aargau. Die Par­zelle 849 (Sport­platz Telli) befindet sich im Besitz der OBG, steht dank Bau­recht dem Kanton aber bis ins Jahr 2052 zur Verfügung. Der OBG fliessen dank dieser Bau­rechts­vergabe jedes Jahr ansehn­liche Zins­zahlungen zu. Soweit die Ausgangslage.

Bevor wir in die Nie­de­rungen der Trans­aktion steigen, lohnt es sich noch fest­zu­halten, wer an der aktuellen Situa­tion über­haupt etwas ändern will. Es ist bekannt, dass der Kanton das marode Hallen­bad ab­stossen will, und zwar schon seit Jahren. Weiter will der Kanton seine Sport­anlage näher zur Alten Kanti bringen (kürzere Wege für die Schüle­rinnen und Schüler, der Kanton ist schon Landbesitzer im Areal Rössliguet/Zeughaus). Umzug ins Rössligut/Zeughausareal Aus Sicht Kanton sind in der Telli alle Wünsche erfüllt mit dem «Land­abtausch»: Er ver­kauft die Par­zellen 850 und 851 samt Hallen­bad und Sport­hallen, und er kann vor­zei­tig aus dem Bau­rechts­vertrag für die Par­zelle 849 (Sport­platz Telli) aus­steigen. Die Ver­ant­wort­lichen des Kantons haben aber auch mehr­mals bestätigt, dass der Land­ab­tausch kein Killer­kriterium ist für die Um­setzung der kanto­nalen Vor­haben. Es geht nach­weis­lich auch ohne!

Die EWG plant, auf dem Telli-Sport­platz, also auf der grünen Wiese, das Ober­stufen-Zentrum Telli für 1'200+ Schüle­rinnen und Schüler zu er­rich­ten. Die Oberen der Klein­stadt Aarau planen damit einen echten Schweizer Rekord, der - gemäss Umfragen - von einer grossen Mehrheit der Aarauer Bevölkerung gar nicht goutiert wird. Mammut-Schule Mit den heute schweiz­weit übli­chen Grob­schätzungen (CHF 4 Mio. pro Abtei­lung oder CHF 100 Mio. pro 33 Abtei­lungen inkl. Drei­fach­turn­halle) kann man über­schlags­mässig be­rechnen, dass die Stadt min­des­tens 200 Millionen Fran­ken in dieses Projekt stecken wird (die von der Stadt verbreitete «Schätzung» von 145 Millionen inkl. Mensa ist reine Pro­pa­ganda); die «Mammut-Schule» ist das mit grossem Ab­stand teuerste Bau­projekt, das die Stadt Aarau je geplant hat. Klar ist in jedem Falle, dass die Stadt Aarau das Land in der Telli unbedingt will, am liebsten natür­lich zum Null­tarif. Mit jedem Franken, den die Stadt für das Land aus­geben muss, steigen näm­lich auch die Kosten für die Ober­stufen-Schul­anlage (Beispiel: Kann die Stadt der OBG den Schaden von 30 Millionen nicht auf­bürden, so steigen die Kosten für die Mammut-Schule trotz absurd tiefer Bau­kosten­schätzung der Stadt von 145 Millionen auf satte 175 Millionen). Äusserst ge­schickt hat der Stadt­rat deshalb eine komplexe Trans­aktion zwischen Kanton, Stadt und OBG eingefädelt, bei der die OBG als mit Ab­stand schwächste Partei über den Tisch gezogen werden soll. Resultat ist, dass aus Sicht EWG in der Telli alle Wünsche erfüllt werden mit dem «Land­abtausch».

Wer diese Tat­sachen kennt, dem leuchtet sofort ein, dass Kanton und Stadt dieses Pseudo-Tausch­geschäft lieben. Aber wie sieht es nun für die Orts­bürge­rinnen und Orts­bürger aus? Schauen wir mal etwas genauer hin! Der «Tausch», der gar keiner ist, soll näm­lich wie folgt ablaufen:

  • Der Kanton verkauft der OBG die Par­zellen 850 und 851 samt den Ge­bäu­den auf diesen bei­den Par­zellen, wobei die OBG die Gebäude sofort weiter­ver­kauft an die EWG, und zwar zum exakt gleichen Preis, den sie dem Kanton zu be­zahlen hat. In einer Netto-Betrach­tung sieht es also wie folgt aus: Die OBG kauft dem Kanton das Land der Par­zellen 850 und 851 ab, und zwar zu einem Preis von knapp mehr als CHF 5 Mio. (der exakte Betrag ist CHF 5'019'300).
  • Die OBG muss der EWG auf diesen bei­den Par­zellen 850 und 851 für 100 Jahre ein un­ent­gelt­liches Bau­recht gewähren.
  • Der Kanton steigt vor­zeitig (2026 statt 2052) aus dem Bau­rechts­vertrag mit der OBG aus. Die EWG will der OBG zwar eine Kom­pen­sations­zah­lung leis­ten für ent­gangene Bau­rechts­zinsen, die vor­ge­sehene Zahlung ist aber völlig un­zu­reichend: Stei­gende Land­preise und die Nor­ma­li­sierung des Zins­umfelds werden komplett ausser Acht gelassen! Un­ver­ständ­lich ist zudem, dass die OBG für die Bau­rechts­zinsen, die ihr in den 74 Jahren von 2053 bis 2126 ent­gehen werden, keiner­lei Ent­schä­di­gung bekommt.
  • Die OBG muss der EWG auch auf der Par­zelle 849 für 100 Jahre ein un­ent­gelt­liches Bau­recht gewähren.

Da ist also aus Sicht der OBG nichts mehr zu sehen von einem Tausch, und fair ist diese Trans­aktion aus Sicht der OBG ganz sicher nicht. De facto muss die OBG die beiden Par­zellen 850 und 851 auf Kredit kaufen, um sie an­schliessend der EWG für die nächsten 100 Jahre völlig un­ent­gelt­lich zu über­lassen. Aus­lagen für Zins­zahlungen für ein Dar­lehen über CHF 5 Mio., der keiner­lei Erträge gegen­über­stehen, be­deu­ten für die OBG Ver­luste von bis zu CHF 10 Mio. bis zum Ende der Lauf­zeit im Jahre 2126. Wer bis hier­her alles ver­stan­den hat, der muss sich fragen: Wieso erwirbt die Stadt das Land eigent­lich nicht direkt vom Kanton? Einer­seits würde sich die Komple­xi­tät der Trans­aktion redu­zieren, anderer­seits wäre die OBG bei den Par­zellen 850 und 851 gar nicht invol­viert und könnte damit auch keinen Ver­lust erleiden! Stadtpräsident Aarau Auf­grund der vor­lie­gen­den Infor­mationen muss man davon aus­gehen, dass die Komple­xi­tät gewollt ist (Ver­schleie­rung der öko­nomisch rele­van­ten Vor­gänge) und die Schädi­gung der OBG min­destens ge­duldet wird, wenn nicht gar beab­sichtigt ist. Klar ist: Gewisse Leute im Stadt­rat haben massive Inter­essen- und Loyalitäts­konflikte. Das mani­fes­tiert sich z.B. dort, wo die exakt gleichen Per­sonen sowohl für die EWG als auch für die OBG unter­schreiben. Und als Mit­glied des Grossen Rats sollte man ja oben­drein auch noch die Inter­essen des Kantons ver­treten. Welt­meister im «Hut Wechseln»! Für Selber­denker ist aber glasklar: Nicht alles, was von Gesetzes wegen erlaubt ist, ist sinn­voll oder mora­lisch vertret­bar.

Auf der Par­zelle 849 sieht es noch schlimmer aus: Ab­ge­sehen von einer völlig un­genü­genden Kom­pen­sa­tions­zahlung für die vor­zeitige Beendi­gung des Bau­rechts­vertrags mit dem Kanton, gibt es nach dem «Land­abtausch» auf der Par­zelle 849 an­stelle von sicheren Zins­zahlungen vom Kanton absolut keine Erträge für die OBG bis in Jahr 2126. Dabei ist völlig klar, dass die OBG dieses Land nach Be­en­di­gung/­Ab­lauf des Ver­trags mit dem Kanton problem­los einer Dritt­partei im Bau­recht ab­geben könnte, die wieder einen an­stän­digen Bau­rechts­zins be­zahlen würde. De facto werden sich die Ertrags­aus­fälle aus dem un­ent­gelt­lichen Bau­recht an die EWG für die Par­zelle 849 für die OBG bis ins Jahr 2126 auf bis zu CHF 20 Mio. auf­summieren.

Der Gesamt­schaden in der Telli (Verlust von CHF 10 Mio. mit den Par­zellen 850 und 851 plus Ertrags­min­de­rungen von CHF 20 Mio. auf Par­zelle 849) wird sich für die OBG auf bis zu 30 Millionen Franken belaufen.

Deshalb:
Performance Ortsbürger

Das ist es also, was der Stadtrat unter einem «fairen Tausch» versteht... Es ist natür­lich ab­zu­sehen, dass gewisse Leute be­haupten werden, es sei doch völlig in Ordnung, wenn die OBG die von der EWG geplante Mammut-Schule ein wenig sub­ven­tio­niert. Es geht ja schliess­lich um das «öffent­liche Inter­esse»! Genau diese Leute sollten sich aber die fol­gende Frage stellen: Ist es eben­falls im «öffent­lichen Inter­esse», wenn die OBG in ihren Liegen­schaften die Mieten dras­tisch er­höhen oder die Bau­rechts­zinsen für andere Par­zellen massiv an­heben muss, damit sie den Schaden decken kann, der ihr mit den un­säg­lichen Land­ge­schäften in der Telli während der nächsten 100 Jahre ent­stehen wird? Es ist nun mal eine Tat­sache, dass man jeden Franken nur 1x aus­geben kann, resp. jeder Franken, der zur Sub­ven­tion der Mammut-Schule ein­ge­setzt wird, muss zuerst an anderer Stelle verdient werden. Es lohnt sich schon, darüber ein wenig nachzudenken!



PS: In der Privat­wirt­schaft wäre mit der Durch­führung einer solchen Trans­aktion der Tat­bestand «un­ge­treue Geschäfts­führung» mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit er­füllt; die Ver­ant­wort­lichen müssten sogar mit einer Frei­heits­strafe rechnen. Offen­bar gelten im Umfeld der Stadt Aarau andere Regeln — wenigstens für gewisse Leute — obwohl auch hier die Gesetzes­lage glas­klar ist. Im Gesetz über die Orts­bürger­gemeinden (OBGG) steht unter §2 nämlich klar und deut­lich:

Die Orts­bürger­gemeinden haben in erster Linie die Auf­gabe der Er­haltung und der guten Ver­waltung ihres Ver­mögens (Grund­stücke, Stiftungen, Kapitalien usw.).